Basiswerkzeug für das Anlagendesign
Die Kurzschlussstromberechnung dient der Ermittlung der minimalen und maximalen Kurzschlussströme, die im Fehlerfall durch die einzelnen Netzelemente fließen(Teilkurzschlussströme) und an den Netzknoten anstehen (Summenkurzschlussströme). Die Berechnung erfolgt üblicherweise anhand der Vorschrift IEC 60909-0. Unsymmetrische Kurzschlussströme werden mit Hilfe der symmetrischen Komponenten berechnet.
Interessieren im Fehlerfall auch die tatsächlich physikalisch auftretenden Spannungen, so kann auf die im Programm implementierte Superpositionsmethode zurückgegriffen werden.
Die Berechnung nach IEC 60909 bietet den Vorteil der Einfachheit und Genauigkeit im Hinblick auf die Höhe und Verteilung der Kurzschlussströme im Netz. Erfahrungsgemäß liegen die Ergebnisse mit dieser Berechnungsmethode weit auf der sicheren Seite. Die besondere Effizienz dieser Methode liegt in der Tatsache begründet, dass die Fehlerspannungen für die Ermittlung der Kurzschlussströme nicht interessieren.
Anwendungsgebiete
Die Kurzschlussstromberechnung erlaubt in erster Linie die Dimensionierung und Konfiguration von Neuanlagen bzw. die Überprüfung von Bestandsanlagen
- anhand des ermittelten, thermisch gleichwertigen Kurzschlussstromes Ith und des Stoßkurzschlussstromes ip, lassen sich Sammelschienen und Zweigelemente (Kabel, USV-Anlagen, etc.) hinsichtlich Ihrer Kurzschlussfestigkeit überprüfen
- anhand des berechneten Ausschaltwechselstromes Ib lassen sich die Leistungsschalter im Netz überprüfen, deren Ausschaltvermögen sollte deutlich über dem berechneten Strom liegen
- die Kenntnis der maximalen Kurzschlussströme ist auch für weitere Disziplinen von Interesse, so wird zum Beispiel die Wandlerauslegung und das Erdungsdesign auf Basis der ein- bzw. zweipoligen Kurzschlussströme durchgeführt, aber auch z.B. in der Störlichtbogenbetrachtung und der Druckberechnung setzt man direkt auf den Ergebnissen der Kurzschlussstromberechnung auf
- anhand der minimalen Kurzschlussströme wird die Anregesicherheit und die Selektivität im Netz überprüft, die eingestellten Werte sollten mit ausreichendem Abstand unterhalb der berechneten, minimalen symmetrischen und unsymmetrischen Kurzschlussströme liegen
- die minimalen Kurzschlussströme geben weiterhin Aufschluss über die Robustheit des Netzes gegenüber Spannungseinbrüchen (z.B. bei Motoranlauf) oder auch Spannungsverzerrungen (Oberschwingungen, Flicker)
Häufig steht am Ende dieser Betrachtung die Feststellung, dass Anlagen, die vor Jahrzehnten gewissenhaft geplant und errichtet wurden, heute die Anforderungen an die Kurzschlussfestigkeit oder auch die schutztechnischen Anforderungen nicht mehr erfüllen. Dies kann zum Beispiel aufgrund unvorhergesehener Änderungen im Netz oder in der Verbraucher- und Erzeugerstruktur begründet sein. Ein unkalkulierbares Risiko in Zeiten von just-in-time-Produktion, kurzen Fertigungsintervallen und einer zunehmend automatisierten öffentlichen Versorgung. Je nach Industrie oder Versorgungsaufgabe kann ein Ausfall von bereits wenigen Minuten bis Stunden unkalkulierbare Auswirkungen für den Betrieb oder die Bevölkerung haben.
Aus den oben genannten Gründen sollte vor jeder größeren Maßnahme im elektrischen Netz prinzipiell eine Kurzschlussstromberechnung oder zumindest eine Abschätzung durchgeführt werden. Weichen die berechneten Kurzschlussströme vor und nach der Maßnahme nennenswert voneinander ab, so ist grundsätzlich auch eine Überprüfung der Netzschutzeinstellungen zu empfehlen.
Anwendungsbeispiel
Die nachfolgende Darstellung zeigt die Ergebnisse einer Kurzschlussstromberechnung für ein vermaschtes 20-kV-Netz. Wir nehmen an, die Berechnung wäre erfolgt um die Auswirkungen des Anschlusses eines weiteren 6-kV-Mittelspannungsmotors (links unten im Bild) auf die Kurzschlussstrombelastung der Hauptschaltanlage zu überprüfen. Die Simulation zeigt, dass der berechnete, thermisch äquivalente Kurzschlussstrom (1s) an der Hauptschaltanlage nach dem Anschluss des zusätzlichen Mittelspannungsmotors 18,9 kA beträgt. Der Stoßkurzschlussstrom beträgt 41,4 kA. Die Schaltanlage verfügt über eine thermische Kurzzeitstromfestigkeit von 20 kA und eine Stoßstromfestigkeit von 50 kA. Da die Beiträge von Motoren in der Regel schnell abklingen, ist die Maßnahme hinsichtlich der Kurzschlussfestigkeit der Hauptschaltanlage rechnerisch zulässig. Aus der Berechnung wird auch der Beitrag der einzelnen Mittelspannungsmotoren zum Summenkurzschlussstrom ersichtlich. Im Falle zusätzlicher Erweiterungen sollte über eine Begrenzung des Kurzschlussstromniveaus nachgedacht werden, z.B. durch folgende Maßnahmen:
- Auftrennung des Netzes in mehrere Teilnetze mit unabhängiger Einspeisung
- Installation von Kurzschlussdrosseln oder Is-Begrenzern
- Umrüstung von direkt am Netz angeschlossenen Motoren auf Umrichterspeisung
Mit Hilfe von Simulationsprogrammen lässt sich für sehr effizient für verschiedene Netztopologien, Last- und Erzeugungsszenarien die Kurzschlussfestigkeit berechnen.