Deutschland gilt international als das Vorzeigeland was die Verfügbarkeit und Stabilität des elektrischen Energieversorgungsnetzes betrifft. Die redundanten Strukturen unserer Elektroenergienetze, die effektive und effiziente Verteilung unserer Kraftwerke in der Fläche und die Integration des deutschen Kraftwerksparks in das europäische Verbundnetz sind wichtige Faktoren für den Erfolg des Wirtschaftsstandortes Deutschland und das Fundament unseres Wohlstandes.
Auf den nachfolgenden Seiten nimmt netzstudien.de Stellung zur technischen Realisierbarkeit und Klimawirksamkeit der Energiewende, wie sie derzeit in Deutschland stattfindet.
Die Stromwende als Scheinlösung
In Zeiten eines immer deutlicher werdenden Einflusses des Menschen auf das Klima müssen wir dringend über Lösungen nachdenken, wie wir die CO2-Emissionen weltweit reduzieren. Hierzu sind Sofortmaßnahmen erforderlich zur Internalisierung der Kosten, also der Umweltschäden, die tagtäglich in den Industrienationen und den rohstoffreichen Entwicklungs- und Schwellenländern verursacht werden. Dazu benötigt es einheitliche Anreizsysteme, die gemeinsam von den Regierungen aller Länder durchgesetzt werden. Und zwar ausnahmslos, so dass Ausweicheffekte vermieden werden.
Diese Aufgabe erfordert starke Politiker, die es verstehen die Erkenntnisse der Wissenschaft und die erforderlichen Maßnahmen einer breiten Bevölkerung und auch den Regierungen anderer Länder verständlich und mit Begeisterung zu vermitteln. Leider wurde der Blickwinkel in Deutschland seit der Abschaltung der 7+1 Kernkraftwerke in den Jahren 2011/2012 sehr stark auf die nationale, elektrische Energieerzeugung verengt. Die enormen Einsparpotentiale in den Bereichen Rohstoffgewinnung, Haus- und Prozesswärme sowie Land-, See- und Luftverkehr spielten in den letzten Jahren hingegen kaum eine Rolle. Internationale Bemühungen zur Koordination der Maßnahmen sind kaum wahrnehmbar.
Durch diesen eingeschränkten Blickwinkel geht wertvolle Zeit zur Lösung des eigentlichen Problems verloren: nämlich der raschen Reduzierung der weltweiten Emissionen und der Internalisierung der Umweltschäden weltweit über lückenlose, internationale Vereinbarungen.
Der extrem aufwendige Umbau unserer Transportnetze und des gesamten Kraftwerkparks in Deutschland stellt eine immense finanzielle und technische Herausforderung dar. Das Risiko für den Industriestandort Deutschland ist dabei erheblich. Denn die ökonomischen, ökologischen und technischen Implikationen kommender Ausbaustufen dieses Generationenprojektes sind bis heute teilweise überhaupt nicht quantifiziert. In ihrem Bericht über die "Auswirkungen des Kernkraft-Moratoriums auf die Übertragungsnetze und die Versorgungssicherheit" hat die Bundesnetzagentur bereits am 26. Mai 2011 Folgendes attestiert:
"Die historisch einmalige zeitgleiche Abschaltung von 5.000 MW Leistung und das längerfristige Fehlen von 8.500 MW Leistung bringen die Netze an den Rand der Belastbarkeit. Das Fehlen dieser Leistung führt dazu, dass in vielen Zeiten der Markt [...] einen Kraftwerkseinsatz verursacht, der einen n-1-sicheren Netzbetrieb nicht ermöglicht."
Nach Benennung der erforderlichen "Marktkorrektur" wie Schalthandlungen, Redispatch, etc. durch die Übertragungsnetzbetreiber heißt es weiter im Bericht:
"Das erhebliche netztechnische Problem, das mit dieser Marktkorrektur verbunden ist, besteht darin, dass das genannte Maßnahmenpaket eigentlich für Ausnahmesituationen wie Ausfälle von Kraftwerken oder Leitungen gedacht ist, nunmehr aber oft bereits für den Normalfall eines intakten Netzes nahezu vollständig ausgeschöpft wird und damit bei zusätzlichen unerwarteten Notfällen nicht mehr zur Verfügung steht. Damit steigt das Risiko der Nichtbeherrschbarkeit von Störungsfällen im Netz deutlich an."
Ungeklärte technische Fragen
Mit der Abschaltung zahlreicher Atomkraftwerke in Kombination mit schlechten Marktbedingungen für die wichtigen, traditionellen Grundlast- und Spitzenlastkraftwerke hat sich Deutschland in eine komplizierte Situation gebracht. Auf der einen Seite wird der heutige Stand des Ausbaus der regenerativen Stromerzeugung technisch und mit viel Finanzmitteln scheinbar noch beherrscht. Somit entsteht in der Öffentlichkeit der Eindruck einer funktionierenden Energiewende. Eine Nachjustierung der Gesamtstrategie auf Basis der bisherigen Erfahrungen und neuer Erkenntnisse ist somit politisch nicht mehr einfach durchsetzbar. Auf der anderen Seite werden aus rein technischer Sicht die folgenden, ungeklärten Fragestellungen jedoch immer drängender:
- wie lässt sich zukünftig die Redundanz im Hoch- und Höchstspannungsnetz während außergewöhnlicher Last-/Erzeugungsszenarien vollständig sicherstellen?
- wie lässt sich das Risiko kaskadierender Schutzauslösungen nach Überlastsituationen während außergewöhnlicher Last-/Erzeugungsszenarien vollständig beherrschen?
- welche Auswirkungen haben mittelfristig die Veränderung von Kurzschlussleistung und Spannungsqualität auf die Verfügbarkeit?
- ist die Übertragung von Verantwortung für Systemdienstleistungen auf Industriekunden über die Einbeziehung von Kraftwerken und industriellen Großverbrauchern in das Lastmanagement die richtige Strategie? wie kann technisch sichergestellt werden, dass sich dieses Hybridsystem aus zentralen und dezentralen Teilnehmern im Ernstfall immer so verhält, dass die Netzstabilität insgesamt erhalten bleibt?
- wie wird sich ein weiter sinkender Anteil an konventionellen Kraftwerken an der Gesamtstromerzeugung auf Spannungshaltung und Frequenzstabilität auswirken? wie können außergewöhnliche Last-/Erzeugungsszenarien oder bestimmte Fehlerkonstellationen dann in jedem Falle noch sicher beherrscht werden?
- wie können zukünftig die Kraftwerksredundanzen an den Ländergrenzen nach dem Wegfall weiterer Schwerpunktkraftwerke aufrecht erhalten werden? wie wird Deutschland seinen Verpflichtungen im UCTE-Netz als stabilisierender Faktor zukünftig gerecht?
- wie soll das Vorhalten einer ständig verfügbaren, regelbaren Kraftwerksreserve mit nahezu 80 GW elektrischer Leistung zur Überbrückung von kurzen und langen Flaute- oder Schlechtwetterphasen technisch realisiert werden, wenn durch die hohen Stillstandzeiten zukünftig nicht mehr genügend Finanzmittel zum Bau und zur Instandhaltung dieser Anlagen vorhanden sind?
- wie muss man zukünftig mit den Restunsicherheiten in den Wetterprognosen im Hinblick auf die Erstellung von verlässlichen Netzfahrplänen umgehen?
- wie soll der Ersatz konventioneller Grundlastkraftwerke durch Biomasseanlagen zukünftig nachhaltig erfolgen (Stichwort: CO2-Freisetzung durch Gewinnung von Maisanbauflächen, Methan-Freisetzung durch Leckagen, energieintensiver Transport der Energiepflanzen per LKW zu den Kraftwerken)
- wie soll die Installation leistungsstarker Ladestationen für Elektroautos in den Innenstädten erfolgen, wenn das Niederspannungskabelnetz hierfür flächendeckend verstärkt werden müsste, die Flächen aber größtenteils versiegelt sind
- wie soll man mit den neuen Risiken der zunehmenden Digitalisierung und Automatisierung zukünftig umgehen? wie lassen sich durch entsprechende Vorkehrungen in den elektrischen Überwachungssystemen Störungen räumlich begrenzen, wenn doch das Funktionieren des Gesamtsystems in hohem Maße auf einer vollständigen Vernetzung der Teilnehmer basiert (Stichworte: "Vernetzung der Dinge" / "Demand-Side-Management" / "Smart Grids")?
Das zentrale und nach wie vor ungelöste Problem ist jedoch das Fehlen von Speicherlösungen zur Glättung und Nutzbarmachung der überschüssigen Elektroenergie aus Windkraft- und Photovoltaikanlagen. Der volkswirtschaftliche Schaden vergrößert sich durch das Ignorieren dieses Problems mit jedem Monat, in dem der Anteil der regenerativen Erzeuger an der Gesamterzeugung weiter zunimmt. Denn um mehrere Tage mit kalt-nebligem, windlosen Wetter überbrücken zu können, müssen auch weiterhin konventionelle Kraftwerkskapazitäten vorgehalten werden. Und zwar in nahezu vollen Umfang des Gesamtbedarfs an elektrischer Leistung, möchte man eine Abhängigkeit von ausländischen Stromimporten vermeiden.
Die DENA hat in ihrer Studie „Energiewirtschaftliche Planung für die Netzintegration von Windenergie in Deutschland an Land und Offshore bis zum Jahr 2020“ Folgendes festgestellt:
"Die gesicherte Leistung der installierten Windenergiekapazitäten verändert sich mit der Jahreszeit, da die Windverhältnisse im Jahresverlauf variieren [...]. Im Jahr 2015 erreicht die ‚gesicherte Leistung der installierten Windenergiekapazitäten’ bei einer Versorgungssicherheit von 99 % rd. 1.820 MW bis 2.300 MW, d.h. dass in diesem Umfang sicher einplanbare konventionelle Kraftwerksleistung langfristig ersetzt werden kann. Dieses entspricht einem Anteil von rd. 6% der installierten Windenergiekapazität."
Die Nichtverfügbarkeit wird mit dem SAIDI (System Average Interruption Duration Index) beschrieben und betrug in Deutschland 12,7 min pro Jahr. Die traditionell hohe Verfügbarkeit unserer Elektroenergieversorgung in Deutschland ist darauf zurückzuführen, dass nach wie vor ausreichend konventionelle Erzeugungskapazität und ausreichend Importkapazität aus dem europäische Ausland zur Verfügung steht, um bei Flaute oder nachts den Bedarf zu decken.
Dies bedeutet nun aber auch, dass unser zukünftiges Elektroenergiesystem ebenfalls mindestens
1 - 12,7 min/a / (365 Tage/a x 24 h/Tag x 60 min/h) = 99,998 %
der Zeit zur Verfügung stehen muss und nicht nur zu 99 % der Zeit. Die Nachkommastellen sind an dieser Stelle von entscheidender Bedeutung.
Zudem ist zu sagen, dass es sich bei den angegeben 99,998 % um die erforderliche, zeitliche Verfügbarkeit von elektrischer Energie beim Endverbraucher handelt und der Einfluss von Netzstörungen in dieser Zahl bereits mit berücksichtigt ist.
Redispatch als Dauerlösung
Der Begriff Redispatch beschreibt die ursprünglich als Notfallmaßnahme vorgesehene Möglichkeit der Netzbetreiber, bei Überlastungen des Stromnetzes die Stabilität durch Netzeingriffe wiederherzustellen. Zwischen 2010 und 2015 sind die Betriebsstunden für Redispatchmaßnahmen von 1.588 Stunden auf 15.811 Stunden gestiegen. Laut dem Monitoringbericht 2016 der Bundesnetzagentur wurde damit im Jahr 2015 beinahe täglich ein Redispatch durchgeführt.
Als Hauptursache der vielen Eingriffe nennt der Bericht unter anderem den nach wie vor hohen Zubau von Windenergieanlagen, Verzögerungen im Netzausbau und die Außerbetriebnahme von Netzelementen zum Netzausbau, sowie die vorzeitige Abschaltung des Kernkraftwerkes Grafenrheinfeld. Ein Festhalten an den beschlossenen Ausbauzielen macht einen weiteren, massiven Netzausbau erforderlich. Dies führt dazu, dass die Notfallmaßnahme Redispatch auch in den nächsten Jahren fälschlicherweise als Dauerlösung akzeptiert werden wird.
Prioritäten setzen und zwar richtig
Die hauptsächlich durch die letzte und neue Bundesregierung geprägte Diskussion um die notwendige Digitalisierung und die Wichtigkeit von Elektromobilität lenkt den Blick vom tatsächlichen Problem des weltweiten CO2-Anstiegs ab. Es ist zu befürchten, dass die Energiewende, wie sie derzeit stattfindet, die Stabilität und Effizienz der Elektroenergiesysteme des Landes und damit den Wirtschaftsstandort Deutschland insgesamt gefährdet. Der Erhalt des Wohlstands und der wirtschaftlichen Stärke Deutschlands spielt jedoch eine zentrale Rolle, wenn wir im Ausland als Vorreiter einer überzeugenden, wirksamen Umwelt- und Klimapolitik wahrgenommen werden wollen.
Nur wenn es uns gelingt mit einer wirksamen Strategie wirklich nennenswert Einfluss auf die Menge der weltweiten CO2-Emissionen zu nehmen und gleichzeitig die heutigen Industrien und Schlüsseltechnologien im Land weiter auszubauen, werden uns andere Länder folgen. Wenn sich unsere Strategie allerdings als unwirksam und schädlich für den Wirtschaftsstandort Deutschland erweist, wird uns die Welt wohl auch in Zukunft kaum folgen.
Durch den Verzicht auf große Mengen Kernkraftleistung wurden in den letzten Jahren erhebliche Potentiale zur CO2-Einsparung und zur Bewahrung von Naturlandschaften verspielt. Hinzu kommt, dass die derzeitige Ausgestaltung des europäischen CO2-Handels und des EEG-Gesetzes, sowie die Ausgestaltung des weltweiten CO2-Handels (Kyoto-Protokoll) nachweislich dazu führen, dass die konventionellen Kraftwerkskapazitäten und die energieintensiven Vorstufen der Produktion ins europäische und weltweite Ausland verlagert werden. Es Bedarf also dringend neuer, internationaler Vereinbarungen und einer Anpassung der nationalen Strategie zur wirksamen Reduktion der CO2-Emissionen.
Eine Erweiterung des Blickwinkels auf andere Kontinente zeigt die Wirkungslosigkeit unserer derzeitigen, nationalen Einsparbemühungen:
Einer Greenpeace-Studie zufolge wurde in China in den letzten Jahren im Durchschnitt jede Woche ein weiteres, neues Kohlekraftwerk in Betrieb genommen. Die jährlichen Gesamtemission betragen in China mittlerweile über 10.000 Millionen Tonnen. Zum Vergleich: die jährlichen Gesamtemissionen Deutschlands betragen derzeit knapp 800 Millionen Tonnen.
Ein großes, deutsches Steinkohlekraftwerk wie etwa das Großkraftwerk in Mannheim (GKM) verursacht jährlich einen CO2-Ausstoß in einer Größenordnung von ca. 5 Millionen Tonnen. Das GKM stellt für die Region Rhein-Neckar eine Energiemenge von 2 GW gut regelbarer, elektrischer Leistung und ca. 1,5 GW Fernwärmeleistung zur Verfügung. Eine klimaschutzmotivierte Stilllegung eines solch bedeutsamen Kohlekraftwerkes würde die jährliche Gesamtemission Deutschlands von 800 Millionen Tonnen also um lediglich 5 Millionen Tonnen senken. Selbst eine solche Kraftanstrengung hätte also keinen nennenswerten Effekt auf die deutsche CO2-Bilanz.
Die jährlichen, globalen Gesamtemissionen werden für das Jahr 2016 auf 36.000 Millionen Tonnen geschätzt. Das bedeutet wiederum, dass selbst eine sofortige, vollständige CO2-Neutralität Deutschlands nur eine Gesamteinsparung der weltweiten Emissionen von etwa 2,2 % bewirken würde.
Eine exakte Übersicht zu den Emissionen in Deutschland nach Energieträger unterteilt und eine Übersicht zum Beitrag Deutschlands zu den weltweiten Emissionen finden Sie unter www.energy-charts.de und www.globalcarbonatlas.org.
Fazit:
Die Notwendigkeit einer drastischen Senkung der CO2-Emissionen ist wissenschaftlich unumstritten. Das 2-Grad-Ziel bildet hierbei den Minimalkonsens. Im Jahre 2016 betrug die globale Erwärmung seit Beginn der Industrialisierung bereits 1,2 Grad Celsius im Mittel. Für viele Inselstaaten und speziell auch für unser gemäßigtes Europa entscheidet die Entwicklung der Temperaturen in der Atmosphäre und in den Weltmeeren über Wohl und Wehe. Wenn wir einen Kampf um nutzbare Flächen und Ressourcen vermeiden wollen, sollte sich Deutschland jetzt weltweit wirksam einbringen.
Jedoch braucht es pragmatische Lösungen. So könnte beispielsweise der Export moderner Kraftwerkstechnologien mit sofortiger Wirkung zu erheblichen, weltweiten Sicherheits- und Effizienzsteigerungen führen. Dies würde Hersteller in aller Welt motivieren, ebenfalls in die Entwicklung hocheffizienter und sicherer Kraftwerkstechnologien zu investieren. Gleiches gilt für den ebenso wichtigen Bereich Verkehr. Eine Effizienzsteigerung um nur 1% - über alle Bereiche des Endenergieverbrauchs - würde die jährlichen, weltweiten Emissionen um 360 Millionen Tonnen CO2 senken. Diese Menge entspricht 40 % der jährlichen Emissionen Deutschlands.
Aus dem gleichen Grund ist es ratsam, deutlich mehr öffentliche Mittel zur Erforschung innovativer und tragfähiger Technologien bereitzustellen. Beispielsweise im Bereich der Kernspaltung und Transmutation, der Brennstoffzellentechnologie, der Speichertechnologien und der Fusionstechnologien. Wir sollten unsere vorhandenen Stärken als Hochtechnologieland nutzen, um über den Einsatz sicherer und hocheffizienter Technologien im eigenen Land und den Export dieser Technologien in die energieintensiven Schwellen- und Industrieländer endlich substantielle Erfolge im Klimaschutz zu erzielen.
Wir möchten alle Fachleute und Interessierte dazu motivieren, sich weiter über die Zusammenhänge zu diesem komplizierten aber sehr wichtigen Thema zu informieren und auch darüber zu sprechen. Eine wirksame Klima- und Umweltpolitik findet nur dann statt, wenn eine breite Öffentlichkeit über die enormen ökonomischen und ökologischen Kosten und Risiken der derzeitigen Strategie im Bilde ist.